Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Siegel der Uni Heidelberg

Wegsteine der Heidelberger Computerlinguistik

Im Heidelberger Wald gibt es alte Wegsteine aus Sandstein. "Oberer Philosophenweg" steht darauf, oder "Sprunghöhe". Sie wurden zwischen 1903 und 1909 gesetzt, als Heidelberg Kurstadt werden wollte. Seit einigen Jahren haben die Steine einen besonderen Förderer: Peter Hellwig, emeritierter Professor für Computerlinguistik, kümmert sich um sie. Er hat ihre Koordinaten sorgfältig erfasst, Pfeile und Inschriften dokumentiert. Seit Kurzem renoviert er die Wegsteine mit Unterstützung von freiwilligen Helfern. Vorausgesetzt, es regnet nicht. Denn bei Regen arbeitet Prof. Hellwig weiter an seinem PLAIN-System, dem Program for Language Analysis and Inference, das er während seiner Zeit als Professor für Computerlinguistik begonnen hat. Peter Hellwig kann man zu recht den Vater der Heidelberger Computerlinguistik nennen, denn ohne ihn hätte es das ICL nicht gegeben. Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums hat er uns den Weg der Heidelberger Computerlinguistik erzählt.

Das Rattern der Lochkarten

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1984 – Peter Hellwig führt das
PLAIN-System vor
© Universität Heidelberg,
Foto: Michael Schwarz

Es begann, als Chomsky in den 60er Jahren die Sprachwissenschaft revolutionierte und Terry Winograd mit SHRDLU das erste sprachverstehende System baute. Für Peter Hellwig, der zuerst Germanistik und Sprachwissenschaft studiert und dann ein Informatikstudium angefangen hatte, "lag in der Luft: Verbinde das!" So beschäftigte sich Prof. Hellwig als wissenschaftlicher Mitarbeiter in Heidelberg nicht nur mit "Linguistik", wie die junge Wissenschaftlergeneration das Fach Sprachwissenschaft neuerdings nannte. Er arbeitete auch am ersten Computer, den es an der Universität gab:

Und als ich hierher kam, fand ich einen großen Computer vor… am Friedrich-Ebert-Platz. Einen Job per Tag Umlauf. Mit Lochkarten… - ich höre heute noch das Gerattere von diesen Lochkarten.

Ein Biotop für Sprachwissenschaft

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1996 – Tag der offenen Tür:
Computerlinguisten lassen sich
über die Schulter schauen

Das Interesse an der Computerlinguistik verband "Einzelkämpfer" dieser jungen, noch entstehenden, wissenschaftlichen Disziplin in ganz Deutschland. Zumeist wissenschaftliche Mitarbeiter in der Linguistik, träumten sie von einem neuen Studiengang. Sie schlossen sich ab 1975 zu der "LDV Fittings", der heutigen Gesellschaft für Sprachtechnologie und Computerlinguistik (GSCL) zusammen. Peter Hellwig hatte in Heidelberg starken Rückhalt. An der neuphilologischen Fakultät war in den 70er Jahren ein "Biotop für Sprachwissenschaft" mit 11 Professoren entstanden. Diese Lehrstühle vereinigten sich zu einer "virtuellen Linguistik" und gaben ein umfassendes, gemeinsames kommentiertes Vorlesungsverzeichnis heraus - etwas, das in dieser Form universitätsweit noch einzigartig war. Gleichgesinnte fand Hellwig auch außerhalb der Fakultät. Gemeinsam mit Mathematikern und Geowissenschaftlern gehörte er zum "Mamma Leone Kreis", der sich regelmäßig in der gleichnamigen Pizzeria traf. Man diskutierte über die Gründung eines Instituts für angewandte Informatik in Heidelberg - die Zusammenarbeit mit der Heidelberger Informatik besteht bis heute.

Vom Lehrstuhl zum Studiengang Computerlinguistik

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1989 – Das spätere SCL (im rechten Gebäude) in der Altstadt
wird einzugsbereit gemacht

Durch die zahlreichen Verbündeten und beständiges Festhalten an der Idee wider aller Hindernisse wurde schließlich 1988 der erste Lehrstuhl für Computerlinguistik eingerichtet. Peter Hellwig, der zuvor nach Erlangen gewechselt war, wurde nun zurück nach Heidelberg berufen. Seinen Sitz hatte der LCL weiterhin in den Räumen der Germanistik in der Altstadt. Peter Hellwig gelang es, mehrere Millionen Drittmittel für Forschungsprojekte einwerben, mit denen Mitarbeiter finanziert wurden. Dennoch blieb der Wunsch, auch Studierende im eigenen Haus auszubilden. Einige gab es bereits, die zusätzlich zu ihrem regulären Studiengang auf eigene Faust Computerlinguistik studierten (ohne, dass dieser Studiengang offiziell schon angeboten wurde). Studenten und Dozenten fuhren im Winter gemeinsam in eine Skihütte auf dem Feldberg und schmiedeten Konzepte für den neuen Studiengang. Von Seiten anderer Fächer und sogar von der Studierendenvertretung gab es jedoch immer wieder Einwände. Die Studierendenschaft befürchtete "industrieabhängige Forschung" und machte mit Flugblättern gegen die Computerlinguistik mobil. Erst 1993 konnte dadurch der Magisterstudiengang Computerlinguistik schließlich doch anlaufen… - und war mit jährlich etwa 150 Studienanfängern sehr erfolgreich. Da Prof. Hellwig schon immer auf eine solide Grundausbildung gesetzt hatte, stellte der Bologna-Prozess mit Übergang zum Bachelor-Master System 2003 für die Computerlinguistik keine Hürde, sondern eine Chance dar. Dem Umschwung in der Lehre folgte 2005 auch der Umzug aus der Altstadt in das heutige Gebäude 325 im Neuenheimer Feld. Neun Tage nach Prof. Hellwigs letztem Arbeitstag, am 10. Oktober 2005, war damit die erste Etappe der Heidelberger Computerlinguistik abgeschlossen.

Die nächsten 25 Jahre

Als wir ihn fragten, was er dem Institut für die nächsten 25 Jahre wünscht, antwortet Peter Hellwig: Dass das Institut weiter blüht und weiter diese doch spezielle Studentenschaft hat… Und dass dieser Zusammenhalt, dieser Geist, weiterhin so bleibt. Wie stolz er vor allem auf die CL-Studierenden ist, die "so außergewöhnlich vielfältige Interessen und Fähigkeiten haben und neugierig sind", zeigt seine letzte Anekdote, die uns zurück zur Auffrischung der Wegsteine bringt: Da standen wir dann einmal im Sommer mit einem Stand am Neckar. Und da kamen eben ganz nette junge Leute vorbei: ‘Ja, wir möchten auch gerne so Steine renovieren’. Und dann sagte ich, dann schreib ich Ihnen mal meine Email auf: hellwig@cl. uni… - ‘Oh, dann sind sie ja unser alter Prof!’ . Dann waren das wieder Computerlinguisten!
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